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Interview mit Lukas Lehmann: PPWR in der Logistik: Rückstand oder Chance?

Mann mit kurzem Haar und Bart, trägt ein hellblaues Hemd und ein dunkles Sakko, blickt frontal in die Kamera, neutraler Hintergrund.
Autor:
Lisa Bornemann
Veröffentlicht am:
4.9.2025

Lukas Lehmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML in Dortmund und leitet seit 2019 das Team Verpackungslogistik. Er entwickelt, prüft und optimiert Verpackungssysteme, die sich technisch in die Abläufe von Industrie und Handel integrieren lassen und zugleich ökologisch und ökonomisch sinnvoll sind. Darüber hinaus treibt er die Themen Verpackungssoftware und intelligente Ladungsträger voran. Im Gespräch erklärt er, warum die neue EU-Verpackungsverordnung Packaging and Packaging Waste Regulation (PPWR) die Logistikbranche vor große Herausforderungen stellt – und wo Chancen liegen.

Lukas, warum ist die PPWR für die Logistik so relevant?

Verpackungen sind ein Querschnittsthema und kommen bei jeder Warenbewegung zum Einsatz – von der Produktion über die Lagerung bis hin zum Transport. Damit durchlaufen sie die gesamte Supply Chain. Und genau deshalb hat die PPWR einen so großen Einfluss: Sie betrifft nicht nur Hersteller und Handel, sondern greift auch direkt in Logistikprozesse ein. Insbesondere an Transport- und Umverpackungen wird sich zeigen, wie weitreichend die neuen Anforderungen sind.  

Ist die Logistik dabei eher Betroffener oder Gestalter?

Beides. Einerseits sind Logistikunternehmen betroffen, da sie Verpackungen in den Verkehr bringen und für deren Konformität verantwortlich sind. Das heißt, sie müssen sicherstellen, dass die Verpackungen den Recycling- und Kennzeichnungsanforderungen entsprechen.

Andererseits ist die Logistik auch Gestalter. Rücknahme-, Mehrweg- und Pfandsysteme sind klassische Logistikaufgaben. Materialflüsse in beide Richtungen zu organisieren – vom Inverkehrbringen bis zur Rückführung – ist eine Kernkompetenz der Branche. Deshalb sehe ich die Logistik nicht nur als Betroffene, sondern auch als Innovator.

Wie gut sind Unternehmen Deiner Einschätzung nach aktuell vorbereitet?

Viele Unternehmen wissen zwar mittlerweile, dass es die PPWR gibt, aber nur wenige haben bereits konkrete Maßnahmen ergriffen. Der Informationsstand ist in der Breite noch nicht ausreichend.

Besonders in der Logistik herrscht Zurückhaltung. Häufig wird die eigene Datenlage überschätzt: Es wird davon ausgegangen, dass genügend Informationen vorhanden sind. In der Realität fehlen jedoch Struktur, Verantwortlichkeiten und Qualität. Das zeigt sich auch in unseren Projektarbeiten am Fraunhofer IML: Unternehmen glauben, alles im Griff zu haben und stellen später fest, dass Daten unvollständig oder unbrauchbar sind.

Zudem gibt es Unternehmen, die die PPWR noch gar nicht kennen, und andere, die die Auswirkungen auf ihr Geschäft nicht einschätzen können. Diese Unsicherheit ist ein echtes Risiko.

Nahaufnahme eines Computerbildschirms mit einer Excel-Tabelle voller Zeitstempel und Paletten-Daten. Ein Kugelschreiber zeigt auf eine markierte Zelle in der Tabelle.

Wo siehst Du die größten Hürden bei der Umsetzung?

Die erste große Hürde ist die erwähnte Unsicherheit. Solange offizielle Leitlinien fehlen, warten viele Unternehmen ab. Aber genau dadurch geht wertvolle Zeit verloren.

Die zweite Hürde ist die Datenlage. Daten existieren zwar irgendwo im Unternehmen, aber oft fehlt die Transparenz: Wo liegen sie? In welcher Qualität? Wie können sie organisiert werden? Ohne diese Grundlagen lassen sich keine Nachweise erbringen, keine Mehrwegsysteme steuern und keine Berichte erstellen.

Hinzu kommen die verbindlichen Mehrwegquoten. Unternehmen, die bisher über keine Tausch- oder Rücknahmesysteme verfügen, müssen diese erst aufbauen – das ist ein großer Schritt. Gerade im Bereich des Ladungsträgermanagements zeigt sich, wie komplex die Anforderungen sind: Nur wer Transparenz über seine Behälterflüsse und Ladungshilfsmittel (LHM) hat, wird die PPWR zuverlässig erfüllen können.  

Und schließlich: die klare Zuweisung von Verantwortlichkeiten. Verpackung wird oft noch als „Verbrauchsmaterial“ gesehen. Zukünftig wird sie aber geschäftsentscheidend sein. Wer seine Verpackungsprozesse im Griff hat, wird einen Wettbewerbsvorteil haben.

Bremst das Tagesgeschäft Unternehmen dabei aus?

Ja, eindeutig. Viele Unternehmen haben ein volles Daily Business. Da bleibt wenig Zeit, sich mit langfristigen Themen wie der PPWR zu beschäftigen. Gerade weil die Verordnung so komplex ist, braucht es aber Zeit und Ressourcen. Deshalb ist es wichtig, Verantwortlichkeiten klar zuzuordnen und Personen freizustellen, die sich intensiv mit dem Thema befassen können.

Hast Du ein konkretes Beispiel, wo sich die Auswirkungen der PPWR schon heute zeigen?

Ja, besonders im E-Commerce. Die PPWR schreibt dort ein maximales Leerraumverhältnis von 50 Prozent vor. Heute liegt es bei vielen Versandhändlern noch deutlich höher: Teilweise sind nur ein Drittel des Kartons mit Produkten gefüllt, während zwei Drittel aus Luft oder Füllmaterial bestehen.

Wir arbeiten mit Händlern daran, den Volumennutzungsgrad zu verbessern. Das bedeutet: weniger Luft verschicken und Verpackungen besser auf die Artikelstruktur abstimmen. Das spart Verpackungsmaterial, reduziert Kosten beim Transport und macht den Prozess insgesamt effizienter. Genau hier ist zu sehen: Die PPWR setzt zwar Druck auf, kann aber auch positive Effekte freisetzen.

Warum investieren Unternehmen trotzdem noch so wenig in konkrete Maßnahmen?

Ein Grund ist, dass es noch knapp viereinhalb Jahre bis zur verbindlichen Umsetzung der Verordnung dauert. Für viele klingt das nach „noch weit weg“. Andererseits herrscht Unsicherheit: Es fehlen Leitlinien, viele Aspekte sind noch unklar. Hinzu kommt, dass Unternehmen keine Juristen sind – die Interpretation des Gesetzestextes ist schwierig, und jeder liest etwas anderes heraus. Diese Faktoren führen zu Zurückhaltung.

Welche ersten Schritte empfiehlst Du Unternehmen?

Ich empfehle drei Dinge:

  1. Sich mit den Anforderungen vertraut machen. Verstehen, welche Auswirkungen die PPWR auf das eigene Unternehmen haben kann.
  2. Datenbasis prüfen. Welche Verpackungsstammdaten gibt es? Welche fehlen? In welcher Qualität liegen sie vor?
  3. Den eigenen Status quo analysieren. Welche Verpackungen setze ich ein, welche Materialien, welche Prozesse? Das gilt insbesondere für Mehrweg-Assets und Ladungsträger, deren Management durch die PPWR künftig noch stärker reguliert sein wird.

Das sind Grundlagen, die schon jetzt gelegt werden können – unabhängig davon, welche Details später konkret geregelt werden.

Und welche Chancen kann die PPWR trotz allem bieten?

Natürlich bedeutet die PPWR zusätzlichen Aufwand und Pflichten. Aber sie zwingt Unternehmen auch dazu, ihre Strukturen zu verbessern. Dadurch entsteht mehr Transparenz, Ineffizienzen werden aufgedeckt und es eröffnen sich Chancen für neue Geschäftsmodelle.

Gerade Unternehmen, die bereits heute gut aufgestellt sind, beispielsweise im Bereich Mehrweg-Management, sollten ihre Vorteile ausspielen und neue Angebote entwickeln. Und für alle gilt: Wer sich früh auf die PPWR vorbereitet, verschafft sich einen klaren Wettbewerbsvorteil.

„Wir haben noch knapp viereinhalb Jahre Zeit. Unternehmen sollten aber jetzt die Grundlagen schaffen: saubere Datengrundlagen, klare Verantwortlichkeiten und Transparenz im Verpackungsportfolio. Wer das frühzeitig angeht, kann die PPWR nicht nur erfüllen, sondern daraus echte Vorteile ziehen.“

Wir sagen herzlichen Dank an Lukas für dieses spannende Interview und die wertvollen Einblicke in die Herausforderungen und Chancen der PPWR für die Logistik!

Über das Fraunhofer:  

Das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML in Dortmund gilt als führende Forschungseinrichtung für ganzheitliche Logistiksysteme. Mit über 450 Mitarbeitenden, unterstützt durch zahlreiche studentische Hilfskräfte, deckt es Themen wie Materialfluss, Transport, Verpackung und digitale Logistik ab – immer mit einem Fokus auf praxisnahe Lösungen für Unternehmen.

Über die Logistikbude:

Die Logistikbude wurde 2021 gegründet und digitalisiert das Management von Mehrweg-Assets wie Paletten, Behältern oder Gestellen, die zum Transport von Waren verwendet werden. Ihre nutzerfreundliche Software ermöglicht die transparente Nachverfolgung der Behälter in Echtzeit und verschafft einen Überblick über Bestände, Bedarfe und Umlaufzeiten. Dadurch profitieren Verlader, Logistikdienstleister und der Handel von niedrigeren Nachkaufquoten und einem reduzierten Verwaltungsaufwand – einfach, effizient und vor allem ressourcenschonend. Die Expertinnen und Experten der Logistikbude haben bei der Lösung ihre langjährige Erfahrung aus der Verpackungsbranche am Fraunhofer IML einfließen lassen.

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